Zsolnay kulturelle Gebäudekomplex
Geschichte
Bei Ankunft im Zsolnay Viertel betreten Sie ein Gelände von kultur- und industriehistorischer Bedeutung, in dessen Gebäuden, Räumlichkeiten und Bausteinen die Kunst vergangener Zeitalter mit der Geschichte von Pécs, Ungarn und sogar Europa verwoben ist.
Die Fabrik wurde von Vilmos Zsolnay nach der Niederlage des nationalen Freiheitskampfes im Jahre 1849 gegründet, dann in den Jahrzehnten der politisch-wirtschaftlichen Konsolidierung, d. h. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Aufschwung gebracht, bis die Fabrik bis zum Ende des Jahrhunderts zur grössten Keramikfabrik der K.u.K.-Monarchie wurde. Im Betrieb wurden sowohl Gebrauchs- und Kunstgegenstände als auch Baukeramik, Kacheln, elektrische Isolatoren und Tonsteinröhren hergestellt, aber für Vilmos Zsolnay war die industrielle Produktion nur ein Mittel: sie bedeutete die Grundlagenbasis zu seinen leidenschaftlichen Innovationen. Seine Erfindungen, die Porzellanfayence und die Eosin-Technik machten der Zsolnay-Fabrik weltweit Namen, und der Pyrogranit inspirierte an der Wende des 19-20. Jahrhunderts eine neue architektonische Richtung: die sogenannte ungarische Sezession/Jugendstil, deren Perspektiven auch von den grossen Architekten des Zeitalters wie Ödön Lechner und Marcell Komor wahrgenommen wurden.
Nach Weltwirtschaftskrisen, Weltkriegen, Revolutionen und Besatzungen fremder Mächte ist die Fabrik nach wie vor vorhanden, aber sie funktioniert nicht mehr ausschliesslich als Produktionsbetrieb, sondern sie wurde teils als Kulturviertel neugeboren: das ist das heutige Zsolnay Kulturviertel.
Vom Gründervater bis zur Errichtung des Kulturviertels
Die Glorie der legendären Anfänge gilt der familiären Zusammenhaltung und dem Zufall. Vilmos Zsolnay lebte von den Einkünften seines in der Innenstadt befindlichen Warenhauses, er galt als erfolgreicher Kaufmann, und hätte bis zum Ende seines Lebens in bequemem und angenehmem bürgerlichem Wohlstand leben können. Aber der in der Vorstadt befindliche Töpferbetrieb seines Bruders namens Ignác machte Konkurs, und um seinen Bruder zu retten und Insolvenz zu vermeiden, stellte Vilmos seinem Bruder Kapital zur Verfügung. Aber Ignác zog bald ins Ausland, und daher wurde Vilmos gezwungen, sich ernsthaft mit dem hinterlassenen Betrieb zu beschäftigen. Von hier gab es kein Zurück mehr. Sein bis dann verschleiert gebliebener schöpferischer Genius griff auf die Gelegenheit zu, er selbst setzte sich selbstvergessen in die Innovation ein, mit den erreichten Ergebnissen war er nie zufrieden, und den erworbenen Gewinn investierte er gleich wieder in die Entwicklung. Er liess aus Europa Fachleute und Künstler herbringen. Später baute er in der eigenen Schule der Fabrik eine Ausbildungsstätte auf, und der mit siebzehn Arbeitern tätige Kleinbetrieb verwandelte sich allmählich in eine Fabrik mit 700 Angestellten. Dann erreichte ihn der Weltruhm, es trafen die Grossaufträge ein, aber er führte sein Leben, wie vorher. Geld hatte er nie, weil er alles wieder in die Unternehmung investierte, und er widmete sich nach wie vor nur der Fabrik.
Es wurden neue Glasuren, neue Ofentypen, neue Brennverfahren eingeführt und ausprobiert, und währenddessen entstand aus orientalischem, archaischem und volkstümlichem Motivschatz eine neue Zierkunst von zauberhafter Farb- und Formenwelt. Die Herstellung der Luxusgegenstände erwies sich als nicht rentabel, aber die in den Parkanlagen und Salons Europas prangenden Zsolnay-Vasen und Zsolnay-Tafelgeschirr generierten industrielle Aufträge, deren Erträge sowohl die Produktion der Kunstgegenstände als auch die Entwicklungen deckten. So unterstützten sich gegenseitig die farbige Märchenwelt, die opulente Schönheit des Jugendstils und die Elektronik- und Kanalisationsindustrie; die frostbeständige Baukeramik und das für einen italienischen Aristokraten entworfene Tischgeschirr aus Goldbrokat für 60 Personen.
Im 20. und 21. Jahrhundert musste die Fabrik nicht nur die Verstaatlichung und die Besitzwechsel nach der Privatisierung in der Wendezeit überleben, sondern auch den erheblichen Rückgang der Nachfrage, der mit der Veränderung der Verschenkungsbräuche und der ästhetischen Beurteilung der Zierkeramik eingetreten ist. Die Fabrik hat alles überstanden, sie konnte dennoch nicht wie vorher weiterbetrieben werden: neben dem verminderten Produktionsbetrieb entstand Platz für ein Gelände, in dem Ausstellungen, Museen, Vorstellungssäle, Planetarium und universitäre Einrichtungen untergebracht werden konnten. Diese Option ging dann im Rahmen des Projektes „Pécs – Kulturhauptstadt Europas 2010“ in Erfüllung. Die Aufgabe war, ausser Aspekten des Denkmalschutzes ein Kulturzentrum für Bildung und Touristik zu errichten, das sowohl für Kinder als auch Erwachsene in Pécs Freizeitprogramme bietet, und in dem die Fakultät für Musik und Darstellende Kunst sowie das Institut für Medienwissenschaften der Universität Pécs untergebracht werden können.
Auf einem Gelände von 5 ha Grösse, in dem einst die Familie und die Gemeinschaft der Fabrik lebte und tätig war, ist etwas vollkommen Neues zustande gekommen. Etwas, was würdig der Vergangenheit ist, aber zumal die Hoffnung schöpferischer Zukunft bietet.
Sie sind nicht nur von uns recht herzlich eingeladen, sondern auch von den Mitgliedern der hervorragenden Fabrikantendynastie: dem heroischen Gründervater, dem besessen experimentierenden Vilmos Zsolnay, von seinen künstlerisch schaffenden Töchtern, Teréz und Júlia, seinem Sohn, Miklós, dem selbstbewussten Bonvivant, den Enkelkindern, die die Tradition fortsetzten, sowie von den heute lebenden Familienmitgliedern bis in die Generation der Gross- und Urgrossenkeln. Dieser Ort ist ein repräsentatives Denkmal der Gründerzeit der ungarischen Industrie, die Krippe des ungarischen Kunstgewerbes.